Wenn Spielen zur Sucht wird
Hallo zusammen,
in der letzen Zeit haben wir uns mal intensiv mit diesem Thema auseinander gesetzt. Wir haben dieses Problem hautnah miterlebt und würden und freuen, wenn einige zu diesem Thema etwas sagen würden!
Ruben hat jede Menge zu tun. Er muss ein magisches Artefakt finden, genug Kupfer für eine neue Rüstung zusammentragen und gegen feindliche Krieger antreten. Letzteres fällt ihm bestimmt nicht schwer - ist er doch knapp zwei Meter groß, breitschultrig wie ein Ochse und hat ein Gebiss, bei dem jeder Berglöwe zum Vegetarier wird. Wen stört es schon, dass er obendrein ein grünhäutiger Ork ist? Zumindest in der virtuellen Welt, denn Ruben ist ein begeisterter Spieler des Online-Rollenspiels "World of Warcraft", dem derzeit wohl bekanntesten Vertreter dieses Genres.
1000 Freunde und kein Ende…
Online-Rollenspiele oder auch MMORPGS (Massively Multiplayer Online Role-Playing Games) sind, kurz erläutert, Computerspiele im Rollenspiel-Genre, bei denen mehrere tausend Spieler gleichzeitig gegen- und miteinander über das Internet spielen. Ziel ist weniger das Erreichen des letzten Levels oder des Endgegners, sondern die ständige Veränderung und Verbesserung des eigenen virtuellen Ichs. Neben "World of Warcraft" gibt es noch eine Fülle an anderen Online-Rollenspiele mit Suchtfaktor. "Dark Age of Camelot”, "Ultima Online” und "Star Wars Galaxies” sind nur einige, die sich großer Beliebtheit erfreuen. Wie groß diese Beliebtheit ist, verdeutlicht "World of Warcraft", das nach Herstellerangaben im Dezember 2005 weltweit rund fünf Millionen registrierte Nutzer vorweisen konnte.
Günstiger geht’s nicht - die Online-Hochzeit
Das Setting der Online-Rollenspiele ist meistens von Fantasy- oder Science-Fiction-Elementen geprägt. Sie haben eines gemeinsam: eine Welt, die dynamisch ist und die sich weiterentwickelt, selbst wenn man selber gerade nicht online ist. Das Spiel läuft weiter, wie das echte Leben. Und dank immer neuerer Techniken werden die Online-Welten zunehmend realistischer. Dort kann man Handel treiben, Häuser bauen, Freunde finden - sogar Hochzeiten und Beerdigungen gab es schon. Ein Grund für den anhaltenden Erfolg dieses Genres liegt wohl darin, jene Welten aktiv mitzugestalten, mitzuerleben und Freiheiten zu genießen, die man in der Realität nicht immer hat. Es ist einfacher, dort zu Ruhm und Ehre zu gelangen als in der Welt jenseits von Bits und Bytes.
Wenn das Spiel zum Leben wird
Gerade der Reiz, jemand völlig anderes zu sein, birgt aber auch die Gefahr, sich im Spiel zu verlieren, süchtig danach zu werden. In den Foren des "World of Warcraft"- Entwicklers Blizzard gibt es eine Auflistung der Spielzeit der jeweiligen Nutzer. Darin finden sich viele User, die 100 Tage und mehr gespielt haben. Ein sehr hoher Wert, da das Spiel erst seit knapp einem Jahr auf dem Markt ist. Die Liste führt ein Spieler mit mehr als 190 Tagen Spielzeit an. Man beachte: Hierbei handelt es sich um die tatsächliche Zeit, die man insgesamt im Spiel verbracht hat, in diesem Fall unglaubliche 4560 Stunden. Doch kann man allein aufgrund der Spieldauer von Sucht sprechen? Zumindest ist sie ein Indikator, ein Warnsignal für eine Abhängigkeit. Sie ist jedoch nicht das alleinige Kriterium. Der Definition nach muss das unabweisbare Verlangen nach dem jeweiligen Erlebnis, in diesem Fall dem Spiel, vorliegen. Süchtige ordnen dem alles unter, so dass das Spiel für sie wichtiger ist als das normale Leben, die Freunde, Partner, Schule oder Beruf. Fälle, in denen sich jemand weitgehend aus dem realen Leben zurückzieht und meint, nicht mehr ohne sein Spiel leben zu können, kommen immer häufiger vor.
Folgen der Spielesucht
Ein Beispiel ist Ruben, 24 Jahre aus Nordrhein-Westfalen. Er kann sich ein Leben ohne Online-Rollenspiele nicht mehr vorstellen. Pro Tag kommt er auf vier bis sechs Stunden Spielzeit. Ganz bewusst stellt er das Spiel und die Erfolge darin über alle anderen sozialen Kontakte und gesellschaftlichen Verpflichtungen. Eine Freundin hat er nicht, dafür hat er keine Zeit - zu groß ist die Angst, etwas im Spiel zu verpassen. Auf die Frage, ob es nicht das Beste wäre, erst einmal nicht mehr zu spielen, oder wenigstens den Konsum einzugrenzen, antwortet er: "Ich habe einmal versucht, ein Wochenende nicht zu spielen, aber das war die reinste Hölle. Ich saß die ganze Zeit wie auf Kohlen und musste dann doch nach einigen Stunden an meinen PC, um zu sehen, was sich verändert hat. Die Online-Welt dreht sich so schnell, da musst Du nun mal dabei sein, sonst verpasst du das Beste."
"Ich versiffte richtig innerlich"
Es gibt auch Spieler, die sich noch weniger unter Kontrolle haben. Sie berichten von suchtbedingten Schulabbrüchen, Isolation und sozialer Vereinsamung. Ähnliche Symptome zeigen sich bei Chris, 19 Jahre. Er berichtet in einem Interview: "Ich aß unregelmäßiger und viel ungesünder, weil es schließlich schnell gehen musste. Ich vernachlässigte Dinge wie Hygiene, und auch der Zustand meines Zimmers war katastrophal. Ich stritt mich immer häufiger mit meiner Familie. Ich versiffte richtig innerlich, weil ich immer so gegen fünf Uhr morgens ins Bett ging und erst nachmittags aufstand. Mit der Zeit ging ich auch immer weniger raus und verlor dadurch meine Freunde. Auch meine Freundin verlor ich nach gut einem Monat, weil ich immer neue Ausreden brauchte, um zu Hause spielen zu können. Aber es interessierte mich nicht. Ich bemerkte es kaum."
Ganz anders sieht es allerdings bei Denis, 14 Jahre aus Bayern, aus. Im onSpiele-Interview berichtet er, dass er zwar regelmäßig spielt, seine sozialen Kontakte darunter aber nicht leiden. Allerdings gab es schon Streitigkeiten mit seinen Eltern wegen des Spielkonsums. Er ist gerne und oft online und bestätigt die potenzielle Suchtgefahr. "Wenn man neu in den Spielen ist und verhältnismäßig wenig Ahnung davon hat, würde ich sagen, verfällt man schnell der Sucht, aber sobald die Eltern dies bemerken, müssen sie konsequent sein und klare Richtlinien setzten. Jedenfalls in meiner Altersgruppe - ab 18 Jahren sollte man so was einfach selber bemerken."
Spielzeitbegrenzung per Gesetz
Es gibt auch Fälle - bislang nur im asiatischen Raum - in denen die Sucht extreme Ausmaße angenommen hat und sogar zum Tod führte. Die "World of Warcraft"-Spielerin mit dem Nickname "Snowy" hatte sich im Oktober letzten Jahres verstärkt auf eine schwierige Quest (zu bewältigende Aufgabe im Spiel) vorbereitet und schon öfter bei ihren Mitspielern über starke Müdigkeit geklagt. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie bereits mehrere Tage am Stück gespielt. Kurz darauf ist sie an Erschöpfung gestorben. Ähnlich erging es auch einem chinesischen Spieler mit dem Nickname "Nan Ren Gu Shi". Durch tagelanges Spielen starb er an Herzversagen. In China hat man darauf reagiert und versucht nun, den Konsum durch gesetzliche Maßnahmen einzugrenzen. Dafür wird ein so genanntes Spielbeschränkungssystem benutzt. Dieses schwächt nach drei Stunden Dauerspiel den Online-Charakter, wodurch er zum Beispiel schlechtere Chancen in einem Kampf hat. Ignoriert man dies, wird der virtuelle Held nach fünf Stunden auf die schwächste Stufe herabgesetzt. Dann muss erst eine längere Pause eingelegt werden, um wieder auf dem alten Level zu spielen. Noch in diesem Jahr sollen alle in China betriebenen Onlinespiele mit dem System ausgestattet werden. "Dieser Mechanismus kann junge Leute davon abhalten, süchtig nach Onlinespielen zu werden", so Kou Xiaowei, Leiter der für audiovisuelle Medien und Internet-Publikationen zuständigen staatlichen Stelle des GAPP (Generaladministration für Presse und Publikation).
Die Wissenschaft zum Spiel
Doch wie hoch ist die Suchtgefahr nun tatsächlich einzuschätzen? Bislang ist die Thematik wissenschaftlich kaum erforscht. Für den deutschsprachigen Raum gibt die Untersuchung des Soziologen Olgierd Cypra erste Hinweise. Von den über 11.400 in dieser Studie befragten Online-Rollenspielern stuft er etwa fünf Prozent als süchtig ein. Nicht nur in der öffentlichen Wahrnehmung, sondern auch unter den Spielern selbst wird das eigene Hobby als problematisch angesehen. Dem Statement "Online-Rollenspiele können süchtig machen" stimmen neun von zehn Befragten der Studie zu.
Aus "Spiel" wird "Ernst"
"Sucht, oder korrekter, Abhängigkeit, ist keine Eigenschaft, die ein Stoff oder eine Tätigkeit an sich besitzt", so der in der Suchtforschung tätige Diplom- Sozialwissenschaftler Kurt Groll, "allerdings gibt es Stoffe (wie etwa Alkohol) und Tätigkeiten oder damit verbundene Erlebnisse (Sexsucht, Fernsehsucht), die besonders geeignet sind, gegenüber ihnen Abhängigkeiten zu entwickeln. Bei Online-Rollenspielen ist es unter anderem das vom Spieler nicht individuell bestimmbare Spieltempo. Dieses kann zu einem nicht mehr sozial verträglichen Zeitaufwand für das virtuelle Ich verleiten. Für eine Verteufelung von Online-Rollenspielen als neue Droge der Informationsgesellschaft besteht dennoch kein Grund: die überwiegende Mehrheit der Spieler zieht problemlos eine Grenze zwischen Gebrauch und Missbrauch. Solche Spiele, wie Spiele überhaupt, haben eine Vielzahl wichtiger und nützlicher Funktionen. Spielen ist jedoch eine freiwillige Tätigkeit. Wer von Rollenspielen abhängig wird, handelt nicht mehr freiwillig und für den wird aus dem Spiel schnell bitterer Ernst."
Alles in Maßen, nichts in Massen
Mittlerweile haben auch die Hersteller der Spiele auf die potenzielle Suchtgefahr reagiert. Bei "World of Warcraft" gibt es nun die Möglichkeit, dass Eltern einstellen können, wann und wie lange ihr Kind am Stück spielen kann. Wer der elterlichen Obhut entwachsen ist, sollte sich selbst einmal über die Schulter schauen und überlegen, ob er das Spiel nicht vielleicht doch zu ernst nimmt. Schließlich sollen Online-Rollenspiele Spaß machen. Und wer nicht ab und zu ein wenig Abstand gewinnt, vergisst dies nur allzu schnell.
Special Alles zu "World of Warcraft"
Mit freundlichen Grüßen in unserem gemeinsamen Herrn und Heiland
Daniel & Lisa