Zu kommentieren ist das folgende Interview nicht. Es spricht für sich. Ein leidiges Thema mit gewissem Reiz und hoher Brisanz:
ZitatAlles anzeigenSchuf doch Gott den Menschen? Zweifel an Darwin kommen auch in Deutschland immer mehr in Mode. Doch eine wachsende Gruppe von Wissenschaftlern organisiert den Widerstand. GEO.de sprach mit ihrem Wortführer, dem Evolutionsbiologen Ulrich Kutschera
GEO.de: Jüngst hat die hessische Kultusministerin mit ihrer Behauptung, zwischen Schöpfungsgeschichte und Evolutionstheorie gebe es erstaunliche Parallelen, für Aufregung gesorgt. Kommt der Kreationismus nun endgültig nach Europa?
Ulrich Kutschera: Seit ich vor 20 Jahren aus den USA zurückgekehrt bin, beobachte ich diese wissenschaftsfeindlichen Strömungen in Deutschland. Und ich muss mit großer Enttäuschung feststellen, dass die kreationistische Bewegung, die unter anderem Fakten verdreht, Erkenntnisse ignoriert und das gesamte Methodenarsenal der modernen Biologie ablehnt, immer mehr Zulauf hat. Alle Umfragen der letzten Jahre zeigen, dass die Zahl der Evolutionsgegner in Deutschland von rund 20 auf bis zu 30 Prozent angestiegen ist.
Wie agieren die Kreationisten in Deutschland?
Zu den kreationistischen Organisationen der ersten Stunde gehört die "Studiengemeinschaft Wort und Wissen". Die verbreitet mit einem stattlichen Etat und fünf Vollzeit-Mitarbeitern auf professionelle Weise den Kreationismus in Deutschland. Im Jahr 1986 gaben sie ein Biologie-Lehrbuch der Autoren Reinhard Junker und Siegfried Scherer heraus, das jetzt in der sechsten Auflage vorliegt. Der Zweitautor, ein Mikrobiologe, war ein damals frisch berufener C-3-Professor an der TU München (Bereich Landwirtschaft), der sich zum Junge-Erde-Kreationismus bekennt - er glaubt, die Erde sei erst 10.000 Jahre alt. Was mich im Jahr 2000 besonders schockiert hat: Die führende deutsche Lehrerzeitschrift in diesem Bereich, Praxis der Naturwissenschaften, bewarb nicht nur dieses Buch, sondern bot auch noch eine unkritische Lehrerfortbildung zu seinen Thesen an. Aus diesem Grund habe ich in meinem 2001 erschienenen Lehrbuch zur Evolutionsbiologie diese Problematik aufgegriffen. Die Reaktion bei "Wort und Wissen" folgte prompt und auf allen Kanälen: im Internet, mit Büchern, Schulungen, Zeitschriften und Videofilmen.
Ist das nicht eher eine Ausnahmeerscheinung?
Meiner Meinung nach nicht. Der Kreationismus in Deutschland ist ein florierendes Business. Der Berliner Filmemacher Fritz Poppenberg zum Beispiel verdient mit kreationistischen Filmen wie "Hat die Bibel doch Recht?", "Der Evolutionstheorie fehlen die Beweise" und ihren Fortsetzungen sein Geld. In der Schweiz gibt es "Pro Genesis"; es gibt das so genannte "Professorenforum", das sind streng christliche Hochschullehrer, die letztlich mit Büchern und Schulungen in Deutschland die amerikanische Intelligent-Design-Idee verbreiten, also die Ideologie, dass eine wie auch immer geartete "Intelligenz" hinter dem Ursprung der Lebensformen steht. Und das Spektrum ist noch breiter ... Vor wenigen Wochen ist ein neues Werk von Dr. Joachim Scheven, einem pensionierten Gymnasiallehrer, an Schulen verschickt worden. Sein Titel: "Vor uns die Sintflut. Stationen biblischer Erdgeschichte". Das ist ein dickes Buch, in dem ein plumper Junge-Erde-Kreationismus verbreitet wird. Alles privat finanziert. Die "Firma" nennt sich "Kuratorium lebendige Vorwelt". Dieser Herr Scheven hat übrigens in seiner Tochter, die an der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt angestellt ist, einen Multiplikator. Diese Frau kauft auf Kosten des Steuerzahlers alle kreationistischen Bücher ein, die dann in der Bibliothek unter "Biologie/Naturwissenschaften" archiviert und mit seriösen Bio-Fachbüchern verwechselt werden.
Die Verwechslung von Wissenschaft und Pseudowissenschaft scheint ein generelles Problem zu sein ...
Nehmen Sie nur die Zeitschrift "Faktum", die in der Schweiz erscheint: Die sieht aus wie das Journal "Spektrum der Wissenschaft" - mit teilweise hervorragenden Beiträgen über molekulare Genetik, von Wissenschaftlern geschrieben. Aber das Medium verbreitet von der ersten bis zur letzen Seite kreationistische Thesen. Und es gibt hervorragend gestaltete Internet-Seiten. Wenn Sie nun bedenken, dass die Betreiber dieser Webseiten über akademische Titel verfügen - es sind natürlich keine forschenden Evolutionsbiologen darunter -, woher soll denn da der Laie wissen, ob Evolution "nur eine Theorie" ist oder ein realhistorischer Prozess? Ein Vorgang, der erforscht werden kann und dem sich weltweit seriöse Wissenschaftler mit großem Aufwand widmen?
Welche Rolle spielt das Internet bei der Verbreitung kreationistischer Ideen?
Schüler schauen, wenn sie sich zu einem Thema informieren wollen, heute zunächst im Internet nach. Wenn sie nun Schlüsselbegriffe, wie zum Beispiel "Makroevolution", "rudimentäre Organe" oder "Phylogenese" bei Google eingeben, dann landen sie zunächst bei den Kreationisten. Da die Zahl der Links bei den Evolutionsgegnern deutlich höher ist als bei uns, führen schätzungsweise zwei Drittel aller Google-Suchanfragen zum Thema Evolution auf kreationistische Seiten. Zum Beispiel auf http://www.genesisnet.info , eine neue Kreationismus-Seite von "Wort und Wissen", die eine umfassende Hauptseite pflegt. Wäre unsere ehrenamtlich betriebene Seite http://www.evolutionsbiologen.de nicht im Netz, würden wohl über 90 Prozent der Suchanfragen bei den Kreationisten landen.
Müsste die Aufklärungsarbeit, die Sie betreiben, nicht von unseren Schulen und Universitäten geleistet werden?
Wenn Sie an einer deutschen Universität Biologie studieren, dann ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass Sie zum Thema Evolution sehr wenig oder gar nichts Aktuelles gelehrt bekommen. Ich könnte Ihnen bedeutende Universitäten nennen, an denen Sie Biologie-Lehrer werden können, ohne je einen einzigen Kurs zum Thema Evolution besucht zu haben. Es gibt auch nur sehr wenige Kollegen, die das Fach im Rahmen einer staatlich besoldeten Professur vertreten. Hinzu kommt ein erstaunliches Wissensdefizit in der Bevölkerung. Die Leute glauben, dass Charles Darwin 1859 alles Wesentliche zum Thema Evolution zusammengetragen habe, was heute relevant ist. Das ist nicht der Fall. In unserer Wissenschaft hat sich sehr viel getan. Das wird auch von Autoren wie dem amerikanischen ID-Vertreter Michael Behe ignoriert, der Evolutionsbiologie mit Darwinismus gleichsetzt, um ihn dann neuerdings für alles moralisch Negative in der Welt verantwortlich zu machen: Aggressivität, Kriege, Sklaverei.
Über die Evolution von Darwins Theorie bis zum heutigen Tag gibt Ihr Lehrbuch Evolutionsbiologie Auskunft. Außerdem sezieren Sie auf 25 Seiten die wichtigsten Argumente der Kreationisten. Kann das nicht auch nach hinten losgehen?
Selbstverständlich. Es gibt im Grunde zwei Sichtweisen. Erstens: "Als Naturwissenschaftler bin ich mir zu fein, mich mit Homöopathen, Astrologen, Wünschelrutengängern und Kreationisten auseinander zu setzen." Wenn man das so sieht, überlässt man den Pseudowissenschaftlern das Feld. Oder man stellt sich der Herausforderung und steigt in diesen intellektuellen Krieg ein. Das habe ich 2001 mit der Erstauflage meines Lehrbuchs getan. Natürlich hat das den Nachteil, dass dadurch die Medien aufmerksam werden. Die Gegenseite wird gewissermaßen beworben. Damit muss man leben. Aber rückblickend muss ich sagen: Hätten wir im Oktober 2002 in Potsdam nicht die Arbeitsgemeinschaft Evolutionsbiologie gegründet, gäbe es heute, zum Beispiel im Internet, keine nennenswerte Gegenbewegung - das Thema Evolution wäre noch immer weitgehend von "Wort und Wissen" und anderen christlich-fundamentalistischen Organisationen besetzt.
Dennoch lehnen Sie es ab, an öffentlichen Diskussionen mit Kreationisten teilzunehmen ...
Die führenden Köpfe unter den Evolutionsgegnern sind exzellent geschulte Missionare. Sie sind didaktisch-rhetorisch vermutlich jedem Fachwissenschaftler überlegen. Außerdem werden, wenn irgendwo eine solche Diskussion ansteht, erst mal die Zeugen Jehovas und die Evangelikalen rekrutiert. Da stehen Sie dann vor 500 Leuten, von denen wahrscheinlich 450 überzeugte Kreationisten sind. Das ist völlig sinnlos. Vor zehn Jahren habe ich zum ersten Mal in einem öffentlichen Vortrag an der Uni Kassel die Argumente der Kreationisten auseinander genommen. Es gab einen Eklat, ich kam kaum aus dem Hörsaal; erreicht hatte ich nichts. Daraufhin habe ich meine Argumente in Buchform verbreitet.
Wie ist das Feedback aus der Öffentlichkeit?
Im Kreise wissenschaftlicher Laien ist die Resonanz weitgehend negativ. Ich bekomme fast täglich Schmähbriefe, die meist unsachlich sind und völlig laienhafte Vorstellungen zum Thema Evolution enthalten. Man wirft mir vor, ich würde ein dogmatisches, evolutionistisches Weltbild verbreiten, eine Art atheistische Ersatzreligion. Diesen Punkt habe ich in der zweiten Auflage meines Buchs "Streitpunkt Evolution" in einem Anhang im Detail diskutiert. Manche vergleichen mich inzwischen mit Richard Dawkins, dem Autor von "Das egoistische Gen", einem bekennenden Atheisten und Religionsgegner. Ich könnte ein ganzes Buch mit derartigen, oft unverschämten Zuschriften füllen.
Und was sagen die Fachkollegen?
Die schätzen mein Engagement uneingeschränkt. Man freut sich, dass sich ein universitärer Fachvertreter die Zeit nimmt, um sich der Problematik zu stellen. Es könnte einmal schwierig werden, wenn es um meine Nachfolge in der AG Evolutionsbiologie geht, weil die meisten Kollegen weder Zeit noch Lust haben, sich das anzutun. Doch die nächsten Jahre noch werde ich zusammen mit meinen Kollegen Thomas Junker und Martin Neukamm die AG Evolutionsbiologie weiterführen.
Was muss geschehen?
Man sollte natürlich an den deutschen Universitäten das Fach Evolutionsbiologie etablieren. Das ist aber völlig illusorisch, weil im Zuge der Master-Studiengänge die Lehrinhalte gekürzt werden. Im schulischen Bereich müssten zunächst mal unsere Lehrer auf dem Gebiet der Evolutionsbiologie vernünftig ausgebildet sein und entsprechende Bücher vorliegen. Die Praxis sieht doch so aus: Das Buch von Junker und Scherer wird in die Schulbibliothek geschleust. Ein religiös geprägter Schüler, vielleicht ein Zeuge Jehovas oder ein evangelikaler Christ, findet dieses Buch und konfrontiert seinen Lehrer damit. Was soll der denn erwidern? Diese Lehrkräfte wenden sich manchmal Hilfe suchend an uns, und wir verweisen Sie wieder auf unsere Bücher. Mehr können wir derzeit nicht tun.
Hand aufs Herz: Haben Sie nicht auch ein wenig Verständnis für die Kreationisten?
Psychologisch gesehen, schon. Der Mensch hat - das ist evolutionär bedingt - das Bedürfnis nach verbindlichen und eindeutigen Lebensregeln. Eine bibeltreue Person lebt in der Regel glücklich. Sie kann immer sagen: "Ich habe das Buch der Wahrheit. Dort steht alles drin, einschließlich der gesamten Biologie." Das gibt Sicherheit. Und das ist auch ein Grund, warum viele religiös motivierte Menschen ein hohes Maß an Selbstzufriedenheit und Sendungsbewusstsein mitbringen. Auf der anderen Seite nutzen diese Personen, die die naturalistische Denk- und Arbeitsweise der Naturwissenschaften ablehnen, in vollem Umfang die Errungenschaften von Biologie und Medizin. Das halte ich für unakzeptabel.
Die Fragen stellte Peter Carstens.
Hebräer 11,3: Durch Glauben verstehen wir, daß die Welten durch Gottes Wort bereitet worden sind, so daß das, was man sieht, nicht aus Erscheinendem geworden ist!