Um das Netz des Geschehens zu entwirren, müssen wir sechs Jahre zurückgehen. Im April 2001 hat der Nationale Sicherheitsdienst der Türkei (Milli Guvenlik Kurulu) angefangen evangelische Christen als Bedrohung für die nationale Sicherheit einzustufen, und zwar auf derselben Ebene wie Al-Qaida- oder PKK-Terrorismus. Erklärungen seitens politischer Führer, Kolumnisten und Kommentatoren haben einen Hass gegen Missionare entfacht, über die sie behaupten, sie würden junge Leute bestechen, um die Religion zu wechseln.
Nach jener Entscheidung von 2001 begannen Angriffe und Drohungen gegen Kirchen, Pastoren und Christen. Bombenattentate, physische Angriffe, mündliche und schriftliche Drohungen sind nur einige der Methoden, mit denen Christen attackiert werden. Äusserst bezeichnend ist der Gebrauch von Propaganda mittels der Medien.
Im Anschluss an eine lange Versammlung über die Bedrohung seitens der Christen, ab Dezember 2005, begannen die Ehefrau des früheren Premierministers Ecevit, der Historiker Ilber Ortayli, Professor Hasan Unsal, der Politiker Ahmet Tan und der Schriftsteller/Propagandist Aytunc Altindal – jeder im Bereich seiner eigenen Berufstätigkeit – eine Kampagne, um die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die heraufziehende Bedrohung von Christen zu lenken, die versuchten, „die Seelen der Kinder zu kaufen“. Verborgene Kameras in Kirchen zeichneten Gottesdienste auf und verwendeten diese Aufzeichnungen sensationslüstern, um Furcht und Ablehnung gegenüber dem Christentum zu fördern.
In einer offiziellen vom Fernsehen ausgestrahlten Antwort aus Ankara grinste der türkische Innenminister, während er über die Angriffe auf unsere Brüder sprach. Mitten unter öffentlichem Entsetzen und Protesten gegen das Geschehen, sowie in der Bejahung von Religionsfreiheit und der Freiheit des Denkens sind die Medien und offiziellen Erklärungen von immer derselben Botschaft erfüllt: „Wir hoffen, dass Ihr die Lektion verstanden habt. Wir wollen hier keine Christen haben“.
Es scheint, als ob dies ein organisierter Angriff seitens eines unbekannten erwachsenen „Tarikat“-Führers war. Wie im Fall der Ermordung von Hrant Dink im Januar 2007, und eines katholischen Priesters, Andrea Santoro, im Februar 2006, werden Jugendliche gebraucht, um religiös motivierte Mordattentate umzusetzen, weil die öffentlichem Sympathien für die Jugend gross sind und sie auch niedrigere Strafen erhalten, als sie ein Erwachsener für dasselbe Verbrechen bekäme. Selbst die Eltern der Jugendlichen bejahen deren Taten. Die Mutter des 16jährigen Jungen, der den katholischen Priester Andrea Santoro ermordete, blickte in die Kameras, als ihr Sohn ins Gefängnis ging, und sagte: „Er wird seine Zeit für Allah absitzen“.
Die jungen Männer, die am Attentat beteiligt waren, sitzen jetzt in Haft. Heute berichteten die Nachrichten, man würde sie als Terroristen behandeln, wobei das Alter dann keinen Einfluss auf die Höhe der strengen Strafe hätte. Der Attentäter Emre Gunayadin befindet sich noch immer auf der Intensivstation. Die Untersuchung konzentriert sich auf ihn und seine Kontakte, und sie sagen, dass sie zusammenbrechen würde, falls er sich nicht wieder erholt.
Die Kirche in der Türkei reagierte auf eine Art und Weise, die Gott ehrte, während Hunderte von Gläubigen und Dutzende Pastoren so schnell wie sie konnten herbeiflogen, um der kleinen Gemeinde in Malatya beizustehen und um die Gläubigen zu ermutigen, um sich der gerichtlichen Dinge anzunehmen und um die Christen gegenüber den Medien zu vertreten.
Als Susanne Geske ihren Wunsch aussprach, ihren Ehemann in Malatya zu bestatten, versuchte der Gouverneur das zu verhindern; und als er realisierte, dass er das nicht hindern konnte, wurde das Gerücht kolportiert: „ Es ist eine Sünde, für einen Christen ein Grab auszuheben“. Schlussendlich – und das ist ein Geschehen, das in der christlichen Geschichte für immer erinnert werden sollte – haben die Männer der Kirche in Adana (in der Nähe von Tarsus) Schaufeln gepackt und ein Grab für ihren erschlagenen Bruder auf einem hundert Jahre alten und ungepflegten armenischen Friedhof ausgehoben.
Ugur wurde durch seine Familie in einer alevitischen islamischen Zeremonie in seiner Heimatstadt Elazig bestattet, während seine gläubige Verlobte aus dem Schatten heraus zusah, dass seine Familie und seine Freunde noch angesichts des Todes ablehnten, den Glauben zu respektieren, den Ugur so lange bezeugt hatte und für den er gestorben war.
Necatis Beerdigung fand in seiner Heimatstadt Izmir statt, in der Stadt, in der er zum Glauben fand. Die Finsternis versteht das Licht nicht. Obgleich die Kirchen der Vergebung für das Geschehen Ausdruck gaben, wurde den Christen nicht getraut. Bevor der Sarg in Malatya ins Flugzeug geladen wurde, musste er zweimal durchleuchtet werden, weil man sicher sein wollte, dass sich darin kein Sprengstoff befände. Dies ist für Särge von Muslimen keine übliche Prozedur.
Necatis Beerdigung war ein wunderbares Ereignis. Wie ein kurzer Einblick in den Himmel wurde es empfunden: Tausende türkischer Christen und Missionare kamen, um ihre Liebe zu Christus und ihre Ehrerbietung für diesen Mann zu zeigen, der erwählt war, für Christus zu sterben. Necatis Ehefrau, Shemsa, sagte der Welt: „Sein Tod war von einer tiefen Bedeutung erfüllt, denn er starb für Christus und er lebte für Christus. Necati war eine Gabe Gottes. Ich fühle mich geehrt, ihn in meinem Leben gehabt zu haben. Ich empfinde mich mit Ehre gekrönt. Ich möchte dieser Ehre wert sein.“
Mutig nahmen die Gläubigen an der Beerdigung von Necati ihren Platz ein, indem sie es wagten, sich öffentlich zu zeigen und somit entsprechend zu Zielscheiben zu werden. Wie erwartet: Die Anti-Terror-Polizei nahm teil und nahm jeden, der bei der Beerdigung teilnahm, auf Video auf, um dies in der Zukunft zu verwenden. Der Gottesdienst fand im Freien bei der Baptistengemeinde in Buca statt, und er wurde dann auf einem kleinen christlichen Friedhof ausserhalb von Izmir begraben.
Zwei stellvertretende Gouverneure von Izmir waren anwesend und beobachteten ernst das Geschehen aus der ersten Reihe. Dutzende von Nachrichtenagenturen waren dabei und dokumentierten das Geschehen mit Life-Berichterstattungen und Photographien. Wer weiss, welche Wirkung die Beerdigung auf Zuschauer hatte? Das ist ebenfalls der Anfang ihrer eigenen Geschichte. Betet für sie.
Susanne Geske drückte in einem Fernsehinterview ihre Vergebung aus, eine Tat, die auf den Titelseiten der grössten türkischen Zeitungen plaziert wurde. Sie wolle keine Rache, sagte sie den Reportern: „Oh Gott, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun,“ sagte sie, wobei sie von ganzem Herzen den Worten zustimmte, die Christus auf Golgatha sprach (Lukas 23,34).
In einem Land, wo Blutrache so normal ist wie zu Atmen, hat die Kirche viele, viele Berichte davon erhalten, wie dieser Kommentar von Susanne Geske Leben verändert hat. Ein Kolumnist schrieb über ihren Kommentar: „Sie sprach mit einem einzigen Satz aus, was 1000 Missionare in 1000 Jahre niemals tun könnten“.
Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Missionare aus Malatya wegziehen werden, weil ihre Familien und Kinder öffentlich als Ziele in einer feindlich gesinnten Stadt identifiziert wurden.
Die verbleibenden zehn Gläubigen haben sich versteckt. Was wird aus dieser Kirche werden, diesem Licht in der Finsternis? Vermutlich wird sie in den Untergrund gehen. Betet um Weisheit, dass türkische Brüder aus anderen Städten kommen und die führungslose Gemeinde leiten. Sollten wir nicht wirklich an dieser grossen Stadt Malatya Anteil nehmen, einer Stadt, die nicht weiss, was sie tut? (Jona 4,11)
Als unser Pastor Fikret Bocek zusammen mit einem Bruder am Montag zur Sicherheits-Direktion ging, um eine Erklärung abzugeben, wurden sie ins Anti-Terror-Departement geleitet. An der Wand befand sich eine riesige Karte, die die ganze Wand füllte und auf der alle Terrorzellen in Izmir nach Kategorien aufgeführt waren. In einer zentralen Spalte waren alle evangelischen Kirchen von Izmir aufgelistet. Die Finsternis versteht das Licht nicht. „Die, die die Welt auf den Kopf gestellt haben, sind auch zu uns gekommen“ (Apg. 17,6).
Bitte betet für die Kirche in der Türkei. „Betet nicht gegen Verfolgung, betet für Ausdauer,“ drängt Pastor Fikret Bocek.
Der Kirche geht es auf Grund des Verlustes unserer Brüder besser; die Frucht in unserem Leben, der erneuerte Glaube, das brennende Verlangen, das Evangelium auszubreiten um noch mehr Finsternis in Malatya auszulöschen – all dies gilt es, nicht geringzuschätzen. Betet, dass wir gegen äusseren Widerstand stark bleiben und betet ganz besonders, dass wir gegen innere Kämpfe mit Sünde – unsere wirklich hindernde Schwäche – feststehen.
Wir wissen mit Gewissheit: Jesus Christus war dabei, als unsere Brüder ihr Leben für Ihn gaben. Er war so dabei, wie Er mit Stephanus war, als der in Sichtweite des Saulus von Tarsus gesteinigt wurde.
Eines Tages mag die Videoaufzeichnung vom Sterben unserer Brüder uns noch mehr von der Kraft offenbaren, von der wir wissen, dass Christus sie ihnen schenkte, um ihr letztes Kreuz zu tragen, und von dem Frieden, mit dem der Geist Gottes sie befähigte, um für ihren geliebten Herrn zu leiden. Wir wissen auch: ER ist nicht von ihrer Seite gewichen. Wir wissen, dass ihr Geist voller Gottesworte war, die sie kräftigten, auszuhalten, als die Finsternis versuchte, das unauslöschliche Licht des Evangeliums zu ersticken. Wir wissen, dass sie – wie auch immer ihnen das möglich war, sei es mit einem Blick oder einem Wort –, dass sie einander ermutigten, stark zu bleiben.
Wir wissen, dass ihnen bewusst war, sie würden bald bei und mit Christus sein.
Die Details kennen wir nicht. Auch wissen wir nicht, auf welche Weise auf dieser Erde der Gerechtigkeit genüge getan werden wird oder nicht.
Aber wir beten – und wir drängen Euch, dafür zu beten! –, dass eines Tages zumindest einer dieser Jugendlichen zum Glauben kommen möge, und das auf Grund des Zeugnisses von Tilman Geske, das dieser im Sterben gab, der sein Leben als Missionar für seine geliebten Türken hingab, und auf Grund der Zeugnisse von Necati Aydin und Ugur Yuksel, die sie im Sterben ablegten. Sie sind die ersten Märtyrer für Christen aus der türkischen Kirche.
Bericht von Darlene N. Bocek (1. Mai 2007)